Wann ist die digitale Transformation von Offline-Forschung und F2F-Interviews sinnvoll?
– eine Aufarbeitung der gegenwärtigen Situation um Covid-19, April 2020
Die aktuelle Situation rund um das Coronavirus und die daraus resultierende COVID-19-Erkrankung stellt vorhandene Strukturen und Prozesse in der Welt der Offline-Marktforschung auf eine Probe. Unabhängig davon, ob Sie die Forschungsarbeit für ihre Kunden übernehmen oder in einer Marktforschungsagentur beschäftigt sind, die Rahmenbedingungen in unserer Branche haben sich verändert.
Mit diesen neuen Herausforderungen müssen sich Marktforscher dieser Tage beschäftigen, um weiterhin effektiv und effizient arbeiten zu können. Wir haben optimale Lösungen, wie Sie Offline-Arbeiten in das digitale Zeitalter transferieren können, um wettbewerbsfähig und effizient agieren zu können. In folgendem Artikel erkunden wir, wie eine Integration von Arbeitsschritten der Offline-Welt in die digitale Infrastruktur der Marktforschung aussehen könnte. Dabei zeigen wir auf, in welchem Umfang die Datenerfassung und die Stichprobennahme optimiert werden können und verdeutlichen anschließend die relevanten Erwägungen für die Erstellung neuer Forschungskonzepte im digitalen Ökosystem.
Kurzfristige Anpassung der Forschungsmethoden oder strukturelle Umstellung der Prozesse?
Forscherinnen und Forscher, die vorranging in quantitativen Disziplinen tätig sind, setzen sich insbesondere mit der Fragestellung auseinander, welche Umstellungen vorgenommen werden sollten, um der aktuellen Situation gerecht zu werden. Mögliche Verhaltensänderungen von Konsumentinnen und Konsumenten aber auch Veränderungen der demografischen Zusammensetzung, die durch die Pandemie hervorgerufen werden, sind Herausforderungen, denen mit der optimalen Anpassung von Forschungsansätzen begegnet werden kann. Die Anpassung der jeweiligen Forschungsdesigns hängt dabei insbesondere davon ab, ob die oben aufgeführten Veränderungen zeitweilig auftreten oder die F&E-Landschaft dauerhaft beeinflussen. Je nachdem, ob Änderungen von langfristiger Natur auftreten werden, müssen neue Ansätze für die Veränderungen bei Rücklaufquoten oder bei der Gewichtung von Daten entwickelt werden.
Offline-Forschende müssen sich deswegen die grundlegende Frage stellen, in wie fern Methoden insgesamt angepasst werden müssen, um Forschungsfragen beantworten zu können. Offline-Forschungsdesigns haben gegenüber den Online-Methodiken berechtigte Gründe und Vorteile in Bezug auf verschiedene Anforderungen. In der aktuellen Lage sind diese Forschungsmethoden allerdings teilweise nicht mehr oder nur noch unter erschwerten Bedingungen durchführbar. Zeitlich undefinierte Ausgangssperren, das Herunterfahren des sozialen und wirtschaftlichen Miteinanders, sowie ihre potenziellen Nachwirkungen sind erhebliche Auswirkungen der Corona-Krise.
Als allgemeines Leitmotiv, das vor dem Hintergrund unserer DNA niemanden überraschen sollte, haben wir Forschern aller Couleur stets geraten, aktiv zu erkunden, wie verschiedene Technologien unsere Branche verändern können. Im Zeichen der angespannten Lage ist dies relevanter denn ja, um alle Möglichkeiten der Zielerreichung in Betracht zu ziehen.
Offline-Methodiken – Entscheidungsgrundlagen, Stärken und Schwächen
Forschungsprojekte weisen stets zwei unverzichtbare Elemente auf: Die Datenerfassung sowie die Stichprobennahme. Um eine geeignete Methodik zur Durchführung dieser zu wählen, analysieren und bewerten Marktforscher verschiedene Szenarien. Beweggründe für Entscheidungen können hierbei auf positiven als auch auf negativen Erfahrungen und Bedingungen fußen.
Historisch betrachtet, wird die Offline-Datenerfassung ihrem Wesen nach positiv eingestuft. Offline-Methoden, wie persönliche Interviews und Intercepts werden hauptsächlich durchgeführt, weil sie es ermöglichen Menschen und ihr Verhalten näher zu beobachten. Mithilfe dieser Beobachtungen können komplexe Zusammenhänge interpretiert und erklärt werden. Im Gegensatz dazu werden die Gründe für die Wahl einer Offline-Methodik hinsichtlich der Stichprobennahme negativ bewertet. Für bevölkerungsarme Länder waren traditionelle Panels aus wirtschaftlichen Gründen oftmals unzugänglich. Beschränkte Daten zur Zielansprache machten es teuer, Studien mit kleiner Stichprobengröße durchzuführen. In diesen Fällen konnten Intercepts gerechtfertigt werden, um angesichts bereits hoher Kosten, die Chancen zu erhöhen, die gesuchte Zielgruppe zu erforschen.
Die digitalisierte Marktforschung – Datenerfassung
Die Vielzahl an Offline-Methoden (und unser Wunsch, keine davon zu bevorzugen) verhindert ihre vollständige Aufzählung und Erläuterung in diesem Artikel. Dessen ungeachtet ist eine regelrechte Explosion neuer Plattformen festzustellen, die eine Online-Datenerfassung für Arbeiten ermöglicht hat, die früher ausschließlich offline durchgeführt wurden. Von Online-Fokusgruppen und Online-Befragungen bis hin zu tragbaren/digitalen neurowissenschaftlichen Verfahren, von einfachen Funktionen bis hin zu KI-getriebener Analytik: Es gibt viele neue Möglichkeiten, die es zu entdecken gilt. Marktforschungsverbände (ESOMAR, Insights Association, MRS oder andere) können Ihnen dabei helfen, potenzielle Partner zu identifizieren, welche ihren Anforderungen entsprechen und ihre Bedürfnisse befriedigen. Darüber hinaus können wir auch zahlreiche Blogbeiträge empfehlen, die in Publikationen wie Research Live, Quirk’s, GreenBook und Research World (ESOMAR) erscheinen.
Da jede neue Methode zur Datenerfassung vor ihrem Einsatz getestet werden sollte, ist ein vollständiger Test dieser von Anfang bis Ende unter „Vollproduktionsbedingungen“ unverzichtbar. Dabei gilt es nicht nur zu verstehen, wie die spezifische Plattform funktioniert, sondern auch, zu erkennen, welche Prozesse möglicherweise nötig sind, um eine Nutzung zu ermöglichen und den produzierten „Output“ zu kennen.
Herausforderungen für Forschende bestehen darin, zu erkennen, dass sich das Antwortverhalten in Online- und Offline-Methodiken unterscheiden kann. Eine Online-Durchführung hat das Potenzial, weniger gut durchdachte Antworten zu produzieren und weiterhin kann die Umgebung der Teilnehmenden deutlich weniger beeinflusst werden. Dies soll Forschende aber nicht entmutigen, sondern vielmehr zu Wachsamkeit anhalten. Zu beachten gibt es hierbei auch, dass relativ niedrige Incentivierungen von Teilnehmenden zu weniger durchdachten Antworten und weniger Geduld aufseiten dieser führen.
Die digitalisierte Marktforschung – Stichprobennahme
Befragungen von Angesicht zu Angesicht (und auch CATI im Online-Zeitalter) konnten Verfügbarkeitsprobleme über Jahre hinweg lösen. Als das Internet in seinen ersten Entwicklungsstufen noch nicht allgegenwärtig verbreitet war, wurden hitzige Debatten in diesem Zusammenhang über die sogenannte „digitale Kluft“ geführt. Heute sind leistungsstarke computerähnliche Geräte vergleichsweise günstig, tragbar und werden von einer mobilen Infrastruktur unterstützt, was dazu führt, dass sich die Reichweite und die Diversität der Zielgruppen, die für eine Stichprobennahme verfügbar sind, signifikant erhöhten. Gleichzeitig wurden enorme Summen in den Aufbau neuer Panels in neuen Ländern und Märkten investiert. Durch diese Faktoren ist die Bereitstellung von Stichproben heutzutage ihrem Wesen nach vorwiegend eine Frage der Programmierung. Anwendungsprogrammierungsschnittstellen (APIs) übermitteln die Spezifikationen und die Verfügbarkeit von Nachfrage und Angebot in kürzester Zeit und optimieren dadurch Prozesse.
Dank neuer Technologien gelang es den Anbietern außerdem den Stichprobenausschuss erheblich zu mindern und so ist es nun möglich die passgenaue Zielgruppe für die jeweilige Umfrage zu kontaktieren. Automatisierung hat hierbei zu einer viel tiefer gehenden Profilbestimmung des Verhaltens geführt und zum Teil werden Algorithmen angewendet, die darauf abzielen, die Wahrscheinlichkeit abzuschätzen, inwiefern ein potenzieller Teilnehmer die Teilnahmevoraussetzungen für eine Umfrage erfüllt und den Fragebogen vollständig ausfüllt. Dies dient letztendlich dem Ziel, die über allem stehende Conversion-Rate (die Anzahl vollständig ausgefüllter Fragebögen geteilt durch die Anzahl der begonnenen Befragungen) zu maximieren.
Trotz dieser großartigen Entwicklungen, kann nicht verallgemeinert werden, dass das gewünschte Publikum jederzeit in großer Zahl online verfügbar ist. Weiterhin kann man auch nicht schlussfolgern, dass Menschen immer bereit sind an Studien teilzunehmen, auch wenn der Zugang zu einer Zielgruppe hergestellt ist. Allerdings kann positiv hervorgehoben werden, dass es, angetrieben von technischem Fortschritt, viel weniger schwierig ist als vor ein paar Jahren, Stichproben sogar von Nischenpublikum zu finden.
Die digitalisierte Marktforschung – Praxistipps
Offline-Forschende sollten bei der Erstellung von Stichprobenkonzepten verständnisvoll agieren, wenn sie mit Geschäftspartnern, die überwiegend online-getrieben handeln, arbeiten, da sich Standards und Workflows teilweise erheblich voneinander unterscheiden.
Zum Teil kann sich Marktforschungsvokabular zwischen der Online und der Offlinewelt, aber auch zwischen verschiedenen Anbietern unterscheiden. Ein Beispiel hierfür ist, der in der Marktforschung übliche, Fachbegriff bevölkerungsrepräsentativ, welcher die tatsächliche landesweite Repräsentanz beschreibt. Diese Repräsentanz kann sich aber auf unterschiedlichen Plattformen von einander unterscheiden und sollte deshalb vorab abgeklärt werden, um Missverständnisse zu vermeiden. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass sich etablierte Online-Anbieter hauptsächlich an den Befragungsdauern (LOI) sowie an den Inzidenzraten (IR) orientieren. Diese Kennzahlen sind die unverzichtbaren Elemente eines jeden Online-Angebots, beschreiben aber Offline-Aufträge nur teilweise. Aus diesem Grund ist es ratsam die Auftragsart nicht nur dem Sales-Team, sondern auch dem Projektmanagementteam zu verdeutlichen.
Ratsam ist es außerdem, dass Forschende zunächst einmal der Versuchung widerstehen, die Stichprobengröße zu erhöhen, weil eine Online-Stichprobennahme im Verhältnis zu Offline-Methoden kostengünstiger ist. Führen Sie zuerst einen Test durch, um sicher zu sein, dass Sie die Informationen bekommen, die Sie brauchen. Wenn Sie bisher mit kleinen Convenience-Stichproben zufrieden waren, fragen Sie sich, welche Konsequenzen es nach sich zieht, wenn Sie sich entscheiden, die Stichprobengröße zu erhöhen.
Der Mensch als Gewohnheitstier
Versierte Forscherinnen und Forscher verstehen, dass die Wahl der Methodik erheblichen Einfluss auf die Beantwortung der Forschungsfrage haben kann. Demnach kann ein Wechsel der Methodik neue Erkenntnisse zu Tage fördern, die vorher verborgen geblieben sind. Die Herausforderung hierbei ist es zu verdeutlichen, dass unterschiedliche Methodologien zu verschiedenen Ergebnissen führen werden, da Offline- als auch Online-Methodiken jeweils Stärken und Schwächen aufweisen. Da Menschen bekanntermaßen dazu neigen in Gewohnheiten zu verfallen, bedarf es Mut und Neugierde neue Forschungsmethoden zu erkunden. Hierbei stellt insbesondere die Betrachtung der Daten in einer neuen Form eine Anstrengung für Beteiligte dar. Diese bringen aber nicht nur Herausforderungen, sondern auch viele Chancen mit sich, welche wir in unserer nächsten Veröffentlichung genauer präsentieren möchten.
Abschließende Worte zur Digitalisierung der Forschungsmethodiken
Falls die Geschehnisse rund um die Corona Pandemie Sie verunsichert und dazu gebracht haben, ihre Forschungsmethodik zu hinterfragen, sind Sie in guter Gesellschaft, denn die Veränderung der Rahmenbedingungen für Wirtschaft und Zivilgesellschaft betrifft nahezu alle Wirtschaftsakteure.
Die aktuelle Situation kann als Chance wahrgenommen werden, neue Forschungsinstrumente und deren Vorteile zu erkunden, um der Krise zu trotzen, Prozesse zu optimieren und nötige langwierige Schritte hin zu einer digitalisierten Marktforschung zu beschleunigen. Wir als Team von Cint stehen bereit, Sie bei ihren Herausforderungen zu unterstützen und freue uns auf ihre Kontaktaufnahme.
Verfasser: JD Deitch (COO von Cint)